Ich möchte dich dazu einladen, deinen Wassermalkasten aus der Grundschulzeit aus dem Keller zu holen, ein paar Töne auf einem Instrument zu spielen, einen Tanzkurs zu machen oder bei einer Theatergruppe mitzuspielen.
Wieso ich dich dazu einlade? Damit du gesund bleibst! 😊
Denn nach einem Bericht der WHO kann sich die Kreativität positiv auf die Gesundheit auswirken:
„Die Ergebnisse zeigen, dass Kreativität auf die mentale und körperliche Gesundheit eine positive Auswirkung hat.“
In dem Bericht wurden beinahe 1000 Publikationen zum gesundheitlichen Nutzen künstlerischer Aktivitäten ausgewertet und die Ergebnisse zusammengeführt. Der Bericht ist die bisher umfassendste Untersuchung, die jemals den Zusammenhang zwischen Gesundheit und Kunst dargestellt hat.
Ich habe mich deshalb mit Dr. Radwa Khalil, Neurowissenschaftlerin an der Jacobs University Bremen, sowie mit Prof. Dr. Dr. h.c. Joachim Funke, Professor für Allgemeine und Theoretische Psychologie am Psychologischen Institut der Universität Heidelberg, über die wissenschaftlichen Erkenntnisse ausgetauscht: Was ist Kreativität überhaupt? Ist jeder Mensch kreativ? Macht Kreativität wirklich gesund?
All das erfahrt ihr in diesem Beitrag! Viel Spaß beim Lesen. 😊
Was versteht man unter Kreativität?
Was versteht man eigentlich unter dem abstrakten Begriff „Kreativität“ genau? Wann ist der Mensch kreativ?
Der Begriff „Kreativität“ stammt vom lateinischen Wort „creare“ ab (zu deutsch: „schaffen“, „erzeugen“). Kreativität bedeutet, etwas Neues zu erschaffen. Dabei kann es sich um fast alles handeln: um einen neuen Gedanken, einen neuen Glaubenssatz, ein neues Hobby, ein neues Bild, eine neue Geschichte, eine neue Radtour…
Für Dr. Radwa Khalil geht es bei Kreativität darum, etwas zu erschaffen, dass originell, überraschend und nützlich sein könnte.
Kreativität ist die Fähigkeit, etwas Neues zu erschaffen und neue, originelle Ideen, Methoden oder Dinge zu entwickeln.
Nach Prof. Joachim Funke haben alle Menschen kreatives Potenzial, allein um im alltäglichen Leben kleine Probleme lösen und Herausforderungen bewältigen zu können. „Bei manchen Personen entwickelt sich das kreative Potential in kreative Leistungen, die wir anderen schätzen.“
Er betont außerdem, dass man nicht auf Knopfdruck kreativ sein könne. Kreativität funktioniere anders. Auch sei die Kreativität domänenspezifisch, d.h. bereichsabhängig: „Jemand kann tolle Bücher schreiben, ist aber damit noch nicht zwangsläufig gut im Malen.“
Die Fünf Kunst-Kategorien der WHO
In dem Bericht der WHO werden fünf Kategorien unterschieden: darstellende Künste (Musik, Tanz, Singen, Theater, Film), visuellen Künste (Basteln/Handwerken, Design, Malen, Fotografie), Literatur (Schreiben, Lesen, Literaturfestivals), Kultur (Besuch von Museen, Galerien, Konzerten, Theatervorführungen) und Online-Künste (Animationen, digitale Künste).
„Kreativität ist wie eine neue Linse, die es uns ermöglicht, unsere Umgebung aus unterschiedlichen Perspektiven zu sehen. Ohne Kreativität gibt es keine Innovationen“, so Dr. Radwa Khalil. Prof. Joachim Funke sieht es genauso: „Ohne Kreativität erstarrt der Alltag in Routinen, Kreativität ist Salz und Pfeffer zugleich in der Suppe des Alltags.“
Wann gilt man als gesund?
Die WHO definiert Gesundheit als einen „Zustand von vollkommenem körperlichem, geistigem und sozialem Wohlbefinden und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen“. Die WHO betont in ihrem Bericht die Bedeutung der Krankheitsprävention.
Dabei geht sie auch darauf ein, dass vollständige Gesundheit und Wohlbefinden nicht das Ziel aller sein muss (oder kann). Leidet man beispielsweise unter einer chronischen psychischen oder körperlichen Erkrankung, ist es wichtig, dass die Betroffenen wieder in der Lage sind, ihr Potenzial auszuschöpfen und es ihnen möglich ist, am Sozialleben teilzunehmen und, soweit es ihnen möglich ist, unabhängig zu leben.
Und genau dabei können kreative Beschäftigungen unterstützen.
Wie wirkt sich Kreativität auf die Gesundheit aus?
Nach dem Bericht der WHO wirkt sich eine künstlerische Betätigung in vielerlei Hinsicht positiv auf die Gesundheit aus: Kreativität hat demnach einen positiven Effekt auf die Entwicklung von Kindern, kann Krankheiten vorbeugen, ermuntert zu gesundheitsfördernden Verhaltensweisen, kann Menschen helfen, mit psychischen Erkrankungen umzugehen und die Betreuung von unheilbar kranken Personen unterstützen.
Als ein Beispiel für die positive gesundheitliche Wirkung der Künste wird genannt, dass Kinder länger schlafen und sich in der Schule besser konzentrieren können, wenn ihre Eltern ihnen vor dem Einschlafen vorlesen. Singen verbessere unter anderem die Aufmerksamkeit und geistige Fähigkeiten. Bei Demenzkranken könne Musik das Erinnerungsvermögen fördern.
„Mit Sicherheit hat eine kreative Beschäftigung auf die psychische Gesundheit eine positive Auswirkung, und damit indirekt auch auf die körperliche Gesundheit“, ist Prof. Joachim Funke überzeugt.
Kreativität senkt nachweislich das Stresshormon Cortisol im Blut
Auch Dr. Radwa Khalil bestätigt diese These: „Stellen Sie sich vor, Sie haben ein Problem und konzentrieren sich darauf, eine einzigartige Lösung zu finden: Dadurch geben Sie Ihrem Gehirn mehr Raum und Sie vergleichen Ihre Lösung auch nicht mit anderen.“ Der Vergleich mit anderen verursache nach der Neurowissenschaftlerin die meisten psychologischen Probleme.
„Darüber hinaus gibt Ihnen Kreativität die Möglichkeit, Ihr Talent zu erforschen und Dinge aus verschiedenen Perspektiven zu sehen, was Ihnen ein dynamisches Gefühl verleiht“, so Dr. Radwa Khalil.
Kreativität schüttet Dopamine aus
Außerdem hat Kreativität einen erheblichen Einfluss auf die Gehirnfunktion. Wissenschaftler der Drexel Universität in Philadelphia, USA, haben nämlich herausgefunden, dass kreatives Betätigen das Stresshormon Cortisol im Blut nachweislich senkt. Eine Kunsttherapie kann daher dabei helfen, mit Depressionen, Angststörungen, aber auch mit Krebserkrankungen umzugehen. Das Kreative Schreiben kann Menschen helfen, Ereignisse, Erfahrungen und Gefühle zu verarbeiten.
Darüber hinaus schüttet das Gehirn Dopamine aus, wenn du etwas erschaffen hast. Dopamine sind die Botenstoffe im Gehirn, die für gute Gefühle, positive Emotionen und Glücklichsein verantwortlich ist und dich dazu motivieren, weiterzumachen.
Also: Ran an die Malkästen, hol deine Tanzschuhe wieder hervor oder trällere unter der Dusche dein Lieblingslied! Für deine mentale Gesundheit! 😊
Über die Interviewpartner:
Prof. Dr. Dr. h.c. Joachim Funke
Seit 1997 Professor für Allgemeine und Theoretische Psychologie am Psychologischen Institut der Universität Heidelberg
Seine primären Forschungsinteressen liegen im Bereich von Denken, Problemlösen und Kreativität.
„Kreativität ist für das Überleben der Menschheit auf einem Planeten mit begrenzten Ressourcen von enormer Wichtigkeit – dazu will ich einen kleinen Beitrag leisten.“
Dr. Radwa Khalil
Dozentin an der Jacobs University Bremen
In ihrer Doktorarbeit befasst sie sich mit der Neurobiologie der Kreativität, ihrer Messbarkeit, ihrer Zuordnung im Gehirn und damit auch der Frage nach ihrer gezielten Förderung.
„Kreativität sollte eine größere Rolle in der Bildung, am Arbeitsplatz und im täglichen Leben spielen. Wir hätten außergewöhnliche Innovationen. Die Gesellschaft braucht eine solche Vielfalt.“